Was hat sich am Arbeitsmarkt in Mitteleuropa verändert?

Ergänzend zu den Ausführungen zur «…Zukunft der Arbeit und der Wandel der Arbeitswelt» von W. Eichhorst und F. Buhlmann 2015 1) sieht der Verfasser aus der Perspektive Dezember 2022 zusätzlich folgende Trends:

  • Wandel vom lebenslangen Arbeiten in einer Firma zum projektbezogenen oder phasenweisen Arbeiten für verschiedene Firmen. Im Top-Management manifestierte sich dieser Trend um die Jahrtausendwende. Damit einhergehend verkürzten sich die Sichtweisen vieler Unternehmenslenker deutlich.
  • Disruptive Veränderungen von Branchen (z.B. durch Digitalisierung oder Umweltschutzaktivitäten) führen zu deutlich anderen Kompetenzprofilen.
  • Der sich seit Jahren zuspitzende globale Wirtschaftskrieg führt zu einer teilweisen Veränderung globaler Lieferketten, was zur Anpassung von Unternehmensprozessen und Kompetenzprofilen führen kann.
  • Die Covid-19-Pandemie führte zur massenhaften Anwendung neuer Arbeitstechniken und Organisationsprinzipien. Sie führte auch zur Arbeitskräftewanderung von z.B. Hotellerie/Gastronomie oder vom Luftverkehr zur Industrie und Handel. Die Personalressourcen werden durch neue Arbeitstechniken und Organisationsprinzipien immer flüchtiger/ungebundener.
  • Die seit 2022 historisch hohe Inflation führt zu stark steigenden Arbeitskosten, wodurch sich die Hemmschwelle bei Wechselwilligen und Einstellenden deutlich verschiebt – waren bis 2021 10%-ige Einkommenssteigerungen ein gängiges Argument, sind ab 2022 20-30%-ige Forderungen/Angebote keine Seltenheit.
  • Der Fachkräftemangel facht einen Bieterkampf an, der letztendlich zu Verwerfungen von betrieblichen Einkommensstrukturen führen kann. Dabei spielt auch das neue Anspruchsdenken der Millennials eine besondere Rolle.

Unter Berücksichtigung der gestiegenen Dynamik am Arbeitsmarkt und der langen Dauer zur Entwicklung von nachhaltigen Personalressourcen sollte dieses Thema als Top-Priorität klassifiziert werden.

Was bedeutet nachhaltige Entwicklung von Personalressourcen?

Ein Prozess (siehe nachstehende Abbildung) zur Entwicklung von Schlüsselpersonen und möglichst dauerhafte Bindung derselben an das Unternehmen.

Eine nachhaltige Entwicklung und dauerhafte Bindung von Schlüsselpersonen ist nur bei Jahrelanger ganzheitlicher Entwicklung folgender Unternehmens-Systemelemente möglich:

Zum einfacheren Verständnis der Wirksamkeit dieser acht Elemente sind sie in drei Gruppen zusammengefasst, wobei die Bezeichnung der Gruppen entweder aus strategischer Sicht (wie oben dargestellt) oder aus Prozess-Sicht (Input-, Verarbeitungs- und Output-Elemente) erfolgen kann. Bei den Kern-Elementen kommt der Wechselwirkung zwischen Mitarbeitern und Prozessen eine besondere Bedeutung bei der Entwicklung von nachhaltigen Personalressourcen zu.

Die Definition der Schlüsselpersonen erfolgt:

  • Betriebsindividuell entsprechend Reifegrad und Erfolgsgrad, so dass der Personenkreis schrittweise wachsen kann,
  • entsprechend Marktverfügbarkeit je Kompetenzprofil (nicht zu verwechseln mit Stellenbeschreibung!). Die Marktverfügbarkeit und das Marktrisiko sollten unter Berücksichtigung folgender Faktoren bewertet werden:
    • Wettbewerbssituation in der Region, wobei sich die Mobilitätsbereitschaft i.d.R. mit zunehmendem Einkommen erhöht.
    • Dauer bis zur Nachbesetzung in Monaten (zur Bewertung der Zusatzaufwendungen und des entgangenen Gewinns). Vorgeschlagen werden 50% der IST-Personalkosten.
    • Preisdifferenz zu den IST-Personalkosten p.a. x Anzahl der vergleichbaren Mitarbeiter im Betrieb
    • Einstellungskosten (Inserate, Interviews, Vertragsabschluss, Headhunter, Umzugskosten, etc.)
    • Einarbeitungszeit in Monaten x Marktpreis inkl. Personalnebenkosten x Faktor 1,5 (0,5 für betrieblichen Aufwand in dieser Zeit)

, wobei Schlüsselpersonen nicht nur Führungskräfte sein dürfen.

Die Bindung der Schlüsselpersonen beinhaltet:

  • die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit (insbesondere durch Entwicklung der Strukturen, Prozesse und IT-Systeme)

  • strukturierte Entwicklungsperspektiven inkl. Promotions

  • Arbeitszeit-Flexibilität

  • Vertrauen in das Management (vom Top-Management bis zum direkten Vorgesetzten)

  • Vertrauen in die Vision und die Geschäftsmodelle

  • materielle Kompensation der Arbeitsleistung auch im Verhältnis zu anderen – intern/extern)

  • Unternehmenskultur (Ein- und Ausstellungen, Erfolge, Feiern, Auszeichnungen, Kantine, etc.)

  • «Strahlkraft» des Unternehmens

Die nachhaltige Entwicklung und Bindung (!) von Schlüsselpersonen kann nur als gesamtbetriebliche Aufgabe und unter der Schirmherrschaft der Unternehmensführung realisiert werden.

Warum wird die nachhaltige Entwicklung von Personalressourcen praktisch kaum realisiert?

Nach dem Studium der Ausführungen zur «Nachhaltigkeit im Personalmanagement», insbesondere der Kapitel 3.2.4 und 3.3, von E. Geursen 2022 2) wird klar, wie vielschichtig die Anforderungen an das Management sind und sie deshalb nur von erfahrenen und in die Unternehmensleitung aktiv eingebundenen Personalchefs erfüllt werden können.

Dass die in vorgenannter Quelle genannten Anforderungen weiter ergänzt werden müssen, zeigen z.B. die Ausführungen zum «Triple-L-Konzept» (Lust, Leidenschaft und Lebensfreude) von H. Gramminger 2022 3) , die Ausführungen zum «New Work Konzept» aus der Sicht der Millennials von L.M. Glaser 2022 4) oder der Artikel «Sie sind wie Plankton» von S. Kempkens und C. Parnack, Die Zeit Nr.51/2022 5).

Zusammenfassend und unter Berücksichtigung der langjährigen Restrukturierungserfahrungen des Verfassers wird festgestellt, dass die vielen Erkenntnisse und Hinweise aus folgenden Gründen praktisch kaum wirksam werden:

  • Eine nachhaltige Entwicklung der Personalressourcen i.S. dieses Beitrags steht nur selten als strategisches Element der Unternehmensentwicklung im Fokus - es wird bestenfalls partiell von der Personalabteilung bearbeitet, wie sich auch aus den Unternehmensstrategien und Geschäftsberichten vieler namhafter Unternehmen erkennen lässt.
  • Die diesbezüglichen Managementziele sind entweder zu komplex oder zu unpräzise formuliert, wie sich aus der öffentlichen Diskussion zu massenhaft fehlenden qualifizierten Arbeitskräften ableiten lässt.
  • Der Faktor Humankapital wird nur selten als strategisches Risiko bewertet, dargestellt und entwickelt.

In  der betrieblichen Praxis fehlt der Fokus auf das Wesentliche – die nachhaltige Entwicklung der Schlüsselpersonen.

Warum sollten Schlüsselpersonen im Fokus stehen?

Jedes Unternehmen muss sich ständig und in immer kürzeren Abständen den Marktanforderungen stellen und seine Systemelemente anpassen, wobei dabei dem Humankapital eine besondere Bedeutung zukommt.

Die wenigsten Unternehmen haben dauerhaft genügend Personal, Zeit und Geld zur vollständigen nachhaltigen Entwicklung der Personalressourcen, so dass eine Priorisierung erforderlich ist.

Diese Priorisierung sollte über die Definition der Schlüsselpersonen erfolgen, deren Anzahl je nach Reife- und Erfolgsgrad des Unternehmens wachsen kann. Die so definierten Personen bilden nach Realisierung der Entwicklungsprozesse die «nachhaltige Schlüssel-Personalressource».

Zusammenfassung

«Menschen – und zwar jüngere genau wie ältere – wollen mit ihrer Arbeit nicht nur Geld verdienen. Sie suchen darin Sinn und Selbstwirksamkeit. Also geben sich viele Unternehmen die blumigsten Leitlinien, … Das bringt aber nichts. Die Mitarbeiter merken (das) schnell… Auch externe Köder – Kickertische, Haustiere im Büro – helfen wenig, solange Firmen nicht ihre internen Prozesse überdenken, ihre Teams, Strukturen und Arbeitsorte.» Ingo Hamm 2022 5).

«Menschen … treibt auch Fairness an, guter Umgang, Feedback, gute Arbeitszeiten und – bedingungen. Die können sie auf einmal den Unternehmen diktieren – jahrzehntelang war es umgekehrt. Arbeitgebern bleibt nichts übrig, als diesen Rollentausch zu akzeptieren, auch wenn es wehtut. Aber wer sich als Erstes anpasst, wird den Kampf um die raraen Fachkräfte gewinnen.» Matthias Sutter 2022 5).

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Arbeitsmarktbedingungen, erfordern die nachhaltige Entwicklung von Personalressourcen. Da diese Aufgabe ausgesprochen vielschichtig ist, wird für die erste Phase die Einbeziehung eines Projektmanagers mit entsprechender Prozess-Expertise empfohlen.

Quellen:

1) (https://www.econstor.eu/bitstream/10419/121271/1/819409847.pdf)

2) (https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-64738-7_3#Sec9)

3) (https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-37419-8_1)

4) (https://www.kremayr-scheriau.at/bucher-e-books/titel/arbeit-auf-augenhoehe/)

5) (https://www.zeit.de/2022/51/arbeitnehmer-gen-z-management-work-life-balance?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F)